BJ 2024 11 - Flipbook - Seite 24
Ulrich Karcisky
Bilanz. Am 30. September 2022 verließ Ulrich Karcisky das
Unternehmen, das er gegründet hatte. Seine Inpraxi-Anteile
hatte er schon zwei Jahre zuvor abgegeben. Wie die Trennung
verlief, wissen wir nicht. Karcisky möchte darüber kein Wort
verlieren, womit wir es an dieser Stelle dann auch belassen.
In seiner Zeit in der Beratung organisierte er jedenfalls nach
eigener Schätzung über 600 Erfa-Veranstaltungen und Seminare. Bei so einem Erfahrungspool ist die Versuchung
natürlich groß, noch die ein oder andere Einschätzung für
die Zukunft der Branche zu ergattern. Interessant ist, dass
der Berater, dessen Berufsstand man ja nachsagt, Mitarbeiter primär als Kostenstelle zu sehen, den Bäckern zu mehr
Engagement in der Personalentwicklung rät: „Nur gut fünf
Prozent der Betriebe gehen dieses Thema nach meiner Er-
24
Back Journal 11/2024
Ulrich Karcisky ist heute wieder Chef eines Startups: 2022 hat er
seine kleine Beratungsgesellschaft „Ulrich Karcisky Consulting“
gegründet, die er bis auf weiteres mit einem Arbeitseinsatz von
40 Prozent betreiben möchte.
fahrung wirklich professionell an.“ Noch langfristiger sollte
man beim Thema Betriebsübergabe aufgestellt sein. Denn für
eine gerechte Verteilung des Erbes sollte Vermögen neben dem
Betrieb aufgebaut sein – wobei beim Übernehmer der Bäckerei
Risiko und Engagement auch honoriert werden müssen. Im
Hinblick auf die hybriden Ladenkonzepte erinnert Karcisky
daran, dass Personaleinsparung die Dinge nicht unbedingt
günstiger macht. IT-Entwicklung und Pflege seien weiterhin
sehr teuer. Akute Gefahren für die Branche sieht er übrigens
nicht: „Im Grundsatz kämpfen die Bäcker mit denselben Problemen, denen sie sich auch vor 20 Jahren stellen mussten.
Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass das Personalproblem langfristig bleiben wird. Und die bürokratische Belastung hat eine Dimension erreicht, die wir uns im ersten
Erfakreis noch nicht vorstellen konnten.“ Was aber nicht
heiße, dass mehr Wille zur Veränderung der Branche gut tun
würde. Ganz beendet ist die Aufzählung seiner Tätigkeiten
übrigens noch nicht, denn mit seiner neuen Firma Karcisky
Consulting ist er weiter im Bäckermarkt präsent. Er hat sich
hier eine Vierzig-Prozent-Stelle eingerichtet, unterstützt Bäcker in Übergabefragen oder bei der Restrukturierung, wobei
die Teilzeit-Beschäftigung auch der Ehe der Karciskys guttut,
wie er mit einem Schmunzeln gesteht. Ansonsten hält sich
der ehemalige Leistungssportler im Fechten mit Erzählungen
aus dem Privatleben zurück – getreu den Grundsätzen, die er
schon seinerzeit in der Zusammenarbeit mit den Betrieben
gepflegt hat. Wir wissen, dass er die Bezeichnung „BeraterPapst“ entschieden ablehnt. In zweiter Reihe den Aufbau eines
mittelständischen Bäckerhandwerks entscheidend begleitet
zu haben, ist auch so nicht wenig. Wahrscheinlich hatte er sich
das gar nicht als Ziel gesetzt, sondern einfach nach seinem
Wertesystem für angemessene Bezahlung ordentliche Arbeit
abgeliefert. Oder, um es dann doch mit etwas Pathos zu sagen:
Ohne Ulrich Karcisky stünde das Bäckerhandwerk in Deutschland lange nicht so modern da, wie es sich heute präsentieren
kann.
Dirk Waclawek
Hintergrund: steinerpicture / stock.adobe.com 2024
ben setzte, an denen sich die anderen orientierten, und c) Karcisky
auch die nötige Durchsetzungskraft besaß, die nötigen Standards
in der Zahlenarbeit durchzusetzen. Bis heute kranken viele der ja
eigentlich segensreichen Verbands-Betriebsvergleiche daran, dass
letztlich Äpfel mit Birnen verglichen werden, die Aussagekraft also
sehr beschränkt ist. Wir stellen das bis heute fest, wenn unsere
Marktkieker-Juroren die Betriebe besuchen. Es ist nicht so, dass
die inpraxi-Bäcker immer die besten Konzepte und Ideen entwickelt haben. Ihr Zahlenwerk ist aber meist in so einem guten
Zustand, dass sie wissen, wo und warum sie Geld verdienen. Auch
haben sie Marktentwicklungen oft früher als die Wettbewerber
erkannt und sich darauf vorbereitet, also zum Beispiel dem Personalmangel mit einem professionellen Mitarbeitermanagement
entgegengewirkt. Kurz: Bei der Kür ist der Wettbewerb unter den
Bäckern immer sehr offen, in der Pflicht schneiden die Erfa-Betriebe in der Regel besser ab. Die Erfa-Idee hat darüber hinaus
dazu geführt, dass die Unternehmen gelernt haben, ein weites
Netzwerk zu pflegen und schon so schnell auf Marktchancen
zu reagieren. Der Kollege aus München hat sich etwas neues
ausgedacht, um das Backen in der Filiale zu vereinfachen? Nach
ein paar Monaten wird uns die Idee auch in Hamburg begegnen.
Bei einem Bäcker in Leipzig verursachen die Kaffeemaschinen
eines Herstellers unangemessene Wartungskosten? Der Hersteller wird sich schwertun, sie dem Bäcker in Düsseldorf ohne
Konstruktionsänderungen zu verkaufen. Kurz: Karcisky hat
eine selbsttragende Struktur aufgebaut, mit dem mittelständische Unternehmen ihren individuellen Charakter bewahren
und doch nach System arbeiten können. Es ist schwer vorstellbar, wie sich das deutsche mittelständische Erfolgsmodell
„Filialbäckerei“ in seiner vielhundertfachen Ausprägung ohne
die Initialzündung von 1983 entwickelt hätte. Die Systemgastronomie hätte den Markt unter sich aufgeteilt. Backwaren
würden in der Menge über den Handel verkauft. Übrig geblieben vom Bäckerhandwerk wären einige Spezialisten mit
besonderen Produkten oder besonderer Qualität. Für viele
Bäcker hat „ihr“ Erfakreis heute einen viel höheren Stellenwert als Innung oder Handwerksorganisation. In manchen
Fällen kann man auch sagen, dass sich die Unternehmen über
das hier aufgebaute Wertesystem definieren. Wer zum Beispiel
glaubte, mit Verachtung und ohne Wertschätzung mit seinen
Mitarbeitern umgehen zu können, bekam von Karcisky auch
schon mal den Stuhl vor die Tür gestellt.
Foto: BJ / Dirk Waclawek 2024
HALL OF FAME